Das Staatsarchiv [1908-1913]

Das Staatsarchiv [1908-1913]

Das Gedicht von Gustav Berthold Volz erlaubt einen Einblick in den Arbeitsalltag im Geheimen Staatsarchivs Anfang des 20. Jahrhunderts.

aus: GStA PK, I. HA Rep. 94, Nr. 1483

DAS STAATSARCHIV

IN tiefem Schlaf lag noch Berlin,
Das zauberisch der Mond beschien.
Als nun der Mond genug geschienen,
Verschwand er hinter den Gardinen.
Und allsogleich in Purpur-Gluten
Ergossen sich der Sonne Fluten:
Aus ihrem güldnen Riesen-Becher
Floss himmlich Licht auf alle Dächer:
Seht sie die Feuer-Finger langen
Nach Schloten und nach Fahnen-Stangen,
und schliesslich leckt die Flamme weiter
Zum goldgespitzten Blitzableiter.
Sie scheint mit feuerfarbnem Schmelz
Der Reichstags-Kuppel auf den Pelz:
Auf den verschiednen Sieges-Säulen
Will mit Behagen sie verweilen.
Wie glitzern in dem weissen Scheine
Der Siegs-Allee erlauchte Beine --
Zum Freude allen Patrioten.
Zum Schmerz den gottverdammten Roten!
Und ist sie vollends auf der Höh,
So kommt sie auch nach Berlin C:
Hier muss den Dunkelsten der Dunkeln
Ihr Licht am allerstärksten funkeln.
Geht dann ihr Strahl besonders tief,
So dringt er auch ins Staatsarchiv
Und träuft des Lichtes Honig-Seim
Auf dies Gebäude, das geheim.

 
 
 
 

DIE Uhr schlägt neun mit dumpfen Schlägen --
O bittre Mahnung allen Trägen,
Indes zur Freud dem Bureaukraten,
Der pünktlich lechzt nach neuen Taten.
Doch im Archive gilt dies nicht,
Ruh‘ ist hier erste Bürgerpflicht.
Denn, öffnen sich die schweren Türen,
Ist mancher noch beim Bart-Rasiren,
Und andre gar, dass ichs gesteh,
Sind noch im tiefsten Négligée.
Nicht so die Diener der Behörde:
Man sieht mit eifriger Gebärde
Sie zwischen roten Oleandern
Die Stufen freudig aufwärts wandern.
Da stehn Benutzer schon in Haufen,
Die von der frühen Fahrt verschnaufen
Und nun -- wer wollt es ihnen wehren --
Gar stürmisch Einlass schon begehren:
Sie eilen zum Lokal in Schaaren --
Doch leider fehlts an Archivaren!
Es zeigt sich nur von ungefähr
So hie und da ein Volontär:
Dann, eine halbe Stunde weiter,
Schon stolzer ein’ge Hilfsarbeiter:
Um zehnt kommt hastig angerennt
Herr Lüdicke, der Assistent.
Ihm folgt im leichten Schritt des Walzers
Die liebliche Erscheinung Salzers.
Sie rollen schnell, fast wie auf Rädern,
Zu ihren hohen Prunk-Kathedern:
Und allsobald von Thron zu Thron
Läuft hin und her Konversation.

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Ihr denkt, dass Salzer spräch von Possen,
Und wie er gestern sich verschossen.
O nein! Sein Herz ward eisenhart,
Der Liebes-Bronnen zugescharrt:
Er wurde mit der Zeit normal
Und ach! so kalt wie blanker Stahl:
Verblühet ist sein Liebes-Lenz,
Sein Sinnen, Trachten ist nur Gentz:
Und seine einzige Begleitung
Bleibt immer nur die Kreuzes-Zeitung.
Aus ihr erzählt er unverdrossen
Und Lüdicke aus Tante Vossen:
Da wechseln “Tatiers“Vater-Freuden
Mit Salzers Junggesellen-Leiden.
Doch die Benutzer hörn mit Schaudern
Der ungenirten Mäuler Plaudern.
Indessen wissen es ja alle:
Hier gehts nun einmal wie im Stalle,
Vielmehr -- wer möchte da nicht weinen --
Man fühlt sich wie in einer Scheunen:
Mit Schmerz und Schauder muss man spüren
Das Knarren ungeölter Türen:
Sie quälen sich in ihren Angeln
Gleich abgenutzten Wäsche-Mangeln.
So taprig wird hier durchgetappt,
Dass es beständig kracht und klappt:
Es rollt dem Marsche gleich des Heeres
Die Ader des Archiv-Verkehres:
Beamte laufen, niedre, hohe
Vom Magazine zum Büroe:
Und ihre Miene ist so wichtig,
Dass jeder denkt: Ei, sind die tüchtig!
Wie schrecklich wird doch hier gehastet,
Sie sind gewiss sehr überlastet:
Und nirgends sieht man faule Drohnen,
Die sich zum Schaden andrer schonen.
Dabei ist dieses nur alltäglich:
Der Eifer steigert sich unsäglich
Ruh und Behagen völlig schwindet,

 
 

DOCH wie sich die Benutzer härmen
Ob diesem Toben, diesem Lärmen,
So müssen sie sich schuldbewusst
Auch greifen an die eigne Brust:
Besonders um die Winters-Zeit,
Wenn Nas‘ und Rachen nicht gefeit,
Gibt es ein Räuspern und ein Husten,
Ein schallend Niesen, krampfhaft Prusten:
Doch übertönt den ganzen Haufen
Ein ängstlich Ziehn, ein schrecklich Schnaufen -
Aus Tiefen es mit Urgewalt
Den Nachbarn in die Ohren schallt --
Dass nicht ein Tröpfchen vorlaut lecke
Auf eines Staatsvertrages Ecke,
Auch nicht auf einem Prunk-Insiegel
Formire einen feuchten Hügel:
Bis sich der Nase Flügel spreizen
Erlösend endlich zu dem Schnäuzen.
Wer neben diesem Bach gesessen,
Wird sein Geriesel nie vergessen.

 
 
 
 

DOCH ausser diesem Ohrenschmause
Gibts auch Gerüche viel im Hause.
Wohin man wende sich und kehre,
Bedrückt die dumpfste Atmosphäre,
Und wie ein grässlich grau Gespinste
Verbreiten sich des Raumes Dünste,
In Wellen wogend -- schwache, starke:
Gelehrten-Muff heisst diese Marke.
Damit nun nicht die dicken Schwaden
Dem Hirn der Herrn Beamten schaden,
Verordnete die Obrigkeit,
Dass pünktlich um die Mittagszeit
Erfolg‘ ein gründlich langes Lüften
Zum freien Abzug allen Düften,
Die sonst den hohen Amts-Personen
Bereiten schwere Congestionen.
Zum Zeichen dessen sagt verbindlich
Ein Ukas: dass wer sehr empfindlich,
Ersucht würd‘, das Lokal zu räumen
Und draussen weiter still zu träumen.
Man constatirt mit Recht und Fuge:
Nun ist das Institut im Zuge!
Geduldig fügen sich die meisten:
Nur einer will sich, traun! erdreisten,
Will wider diesen Stachel löcken:
Er wagt hervor sich aus der Ecken
Und auf sein hohes Alter pochend,
Vor Ingrimm bebend, schnaubend, kochend
Verlangt er zu der Herrn Verdriessung
Der Fenster ungesäumte Schliessung.

 
 
 
 

 
 
 
 

Doch wie er sich will hinbemühen.
Da stürzen sie sich wie Harpyen,
Jäh aufgeschnellt als wie von Federn
Herab von ihren Holz-Kathedern:
“Erlauben Sie, wir wollen hoffen,
Das Fenster bleibt gefälligst offen!“
Allein der Alte unverdrossen
Besteht darauf: “Es wird geschlossen!“
Denn selbst die Offiziere meinen,
Man kriegt das Reissen an den Beinen.“
Er sei schon ohnehin verschnupfet,
Und während er das Käppchen lupfet,
Weist er auf seine weissen Haare
Und spricht von Grab und Totenbahre.
“Glaubt Ihr, dass man Euch Rücksicht schuldet?
Benutzer seid Ihr, nur geduldet!
Ihr seid hier sämtlich überschüssig,
Längst sind wir Eurer überdrüssig!“
Doch ohne etwas zu erwidern
Eilt zitternd an den alten Gliedern
Und kreidebleich wie ein Gespenst er
Hin zum verhängnisvollen Fenster.
“Zurück mein Herr! Hinweg! Von hinnen!
Welch schändlich frevelhaft Beginnen!
Verachtet nicht Autorität,
Dass Ihr es nicht bereut zu spät!
Sonst treiben wir Euch noch zu Paaren:
Das Staatsarchiv den Archivaren!“
Da ruft der Alte, dass es schallt:
“Ich weiche nur der Amts-Gewalt:
Muss ich auch jetzt den Rücken kehren,
Ich werde mich beim Chef beschweren!“
Es klang wie eines Raubtiers Schrein:
Den Herren gings durch Mark und Bein.

 
 

INDESSEN drinnen alles schaudert,
Wird draussen friedlich froh geplaudert
Von der Benutzer buntem Chore
In dem geräum’gen Corridore:
O seht welch liebliche Idylle!
Sie ziehn aus pergamentner Hülle
Ein Butter-Bemmchen reichbelegt,
Wie’s Mutter mitzugeben pflegt.
Manch Schlemmer hält in seinen Händen
Auch Früchte, wie’s die Zeiten spenden:
Sie schlecken mit verzücktem Gaumen
Rotbäck’ge Aepfel, Birnen, Pflaumen,
Bisweilen auch mit seel’gen Mienen
Bananen, Feigen, Apfelsinen.

 
 

EH‘ noch zu Ende frühgestücket
Und man zur Rückkehr an sich schicket,
Durch hoher Flügel-Türen Schleuse,
Schleicht Viertler sacht zum Uhr-Gehäuse,
Um, ohne dass es jene spüren,
Den Zahn der Zeit zu korrigiren,
Die Zeiger etwas vorzuschnellen
Und so die Fleissigen zu prellen.
Doch Salzer sagt mit zierem Mündchen:
“Es ist ja nur ein Viertelstündchen!
Nie hab ich mich in meinenm Leben
Mit Kleinigkeiten abgegeben.“
Da fliesset der Benutzer Strom
Zurück schon in den Akten-Dom:
Manch sinnender Gelehrten-Kopf,
Manch dicht verklebter Forscher-Tropf:
Die längst vertrauten Angesichter,
Kurzum das sämtliche Gelichter.
Doch seht! welch fremder Unbekannter!
Das ist doch kein Archiv-Verwandter.
Fürwahr das ist ein Neuer, Grüner:
Hineingeleitet von dem Diener
Ist er vor Piepers Zentner-Stücken
Mit blossem Aug‘ kaum zu erblicken.
Verschüchtert naht dem Thron der Gast
Und stört der Aufsichtsherren Rast,
Der seine demutsvolle Beugung
Erwidert mit des Kopfes Neigung.

 
 
 
 

“Was haben sie denn hier zu suchen?
Was kann ich über Sie denn buchen?
Den Namen bitte, Herkunft, Zweck,
Und hoffentlich dann schleunigst weg!“--
“Verzeihet, dass ich bin geboren!
Ich habe hier zwar nichts verloren
Und möchte dennoch etwas finden:
Ich möchte herzlich gern ergründen,
Mit welchem Fug und welchem Recht
Mein hochberühmtes alt Geschlecht,
Das sich so lange hielt untadlig,
Nun auch ganz zweifelsohne adlig.
Gewiss habt Ihr ein Pergamen,
Aus dem das leichtlich zu ersehn.
Greift schleunig nur ins Fach mit A,
So habt Ihr’s sicherlich gleich da.
Und dann -- dass ich es nur gesteh‘!--
Es geht nicht bloss ums Renommée:
Wir wollen auch, bevor wir sterben,
Noch gern ein paar Millionen erben!
Es fehlt nur noch ein einzig Glied,
Das unsrer Kunde sich entzieht:
Ihr könnt’s gewiss aus den Papieren
Mit leichter Mühe eruiren.“--
“Oho mein Herr! Das denkt Ihr so!
Wir sind kein Detektiv-Büro:
Wir sind hier nicht in der Destille,
Wo jedem Gast sogleich sein Wille.
Sie zahlen nicht einmal Entrée
Wie in dem kleinsten Variétée!

 
 
 
 

 
 
 
 

Ihr seid hier im Geheim-Archiv,
Wo alles liegt vergraben tief!
Fürs Beste gibt es Gott sei Dank
Apart noch den Sekreten-Schrank.
Hier muss man erst gewaltig schürfen --
Vor allem aber muss man dürfen!
Habt Ihr Erlaubnis zur Beschmutzung --
Pardon! Ich wollte sagen:-nutzung?
Wir müssen Euch zunächst verpflichten:
Es heisst den Händeschlag entrichten.
Sodann müsst Ihr auch unterschreiben,
Dass Ihr nicht werdet lange bleiben,
Dass Ihr zu nichts berechtigt wäret,
Vielmehr Euch dankbar fühlt geehret,
Die Pflichten jauchzend auf Euch nähmet
Und zum Gehorsam Euch bequämet.
Und à propos le dernier cri:
Wie steht es mit Kleptomanie?“
Ist der Beamte dann befriedigt,
Eilt der Benutzer schwer ermüdigt,
Zu suchen im Gelehrten-Pfuhl
Sich einen heilen Rohrflecht-Stuhl,
Den man beschlug mit Gummi-Hufen,
Um Störung nicht hervorzurufen.--
Ganz anders ist schon die Gebärde,
Kommt jemand von der Staats-Behörde:
Zum Beispiel hohes Herolds-Amt
Behandelt man wie Seid‘ und Sammt:
Ein jeder, ist er noch so bärtig,
Erbebt vorm Amt, das aussenwärtig,
Und andachtsvoll wie ein Mysterium
Bedient man jeglich Ministerium.
Doch heisst’s auch hier: Erscheint persönlich!
Denn Auskunft gibt’s nicht telefönlich.

IM Ganzen ist’s ein schwer Geschäfte:
Es geht fast über Menschen-Kräfte!
Da gibts ein Seufzen, gibts ein Grämen
Im Kampf mit knifflichen Problemen.
Da sieht den Kohlweisling man flattern
Und ängstlich mit den Zähnen schnattern.
Da steigt Comenius aus der Tiefe
Und sucht wen er zu Hilfe riefe.
Und welch ein Irrtum, wenn man wähne,
Es hülfen Splitter hier und Späne!
Und sind sie auch in zweeen Bänden,
Sie werden niemals Beistand spenden.

 
 
 
 

 
 

Es wird, wenn alle Stränge reissen, -
Allzeit doch immer wieder heissen:
Wir finden Rat auf alle Fälle
Bei unserm alterprobten Melle!
Doch will man an die Klinke rühren,
Da hat die Borg verschlossne Türen.
Zwar ist ihm das nicht zu verwehren:
Wie aber ist es zu erklären?
Man lauschet horchend an dem Häuschen:
Aha! So so! man weiss schon: Mäuschen!
Betrübt schleicht man zum Stall zurück --
Doch bald erheitert sich der Blick:

 
 
 

Denn jetzo tragen Viertlers Künste
Die wohlberechneten Gewinnste:
Und fehlen auch noch zehn Minuten,
So müssen sich schon alle sputen.
Wenn arglos ein’ge sitzen bleiben,
Versteht man sie mit Kunst zu treiben:
Man hustet, räuspert, doch am besten:
Man schiebt mit Donnerkrach die Kästen:
Die Fenster werden aufgerissen --
Wer dann noch bleibt, wird rausgeschmissen.

 
 
 
 

IST überstanden alle Pein’gung,
So schreitet schliesslich man zur Rein’gung:
Um sich von allem Akten-Schaden
Die Seele und den Leib zu baden,
Insonderheit die Tinten-Finger,
Stürzt man in Rudeln sich zum Zwinger,
Wo im Verliess, in dem bewussten
Sich lösen alle Staubes-Krusten.
Da schwebet man durch enge Pforten,
Wenn nicht im Wege grade dorten
Mit Eimern steht und ernsten Besen
Ein hochgeschürzt, doch ältlich Wesen.

 
 
 
 

 
 
 
 

Wie ist hier zart das Licht gedämpfet,
Wo Wasser sich mit Staub bekämpfet.
Vier Becken glänzen porzellanen,
Gemahnend an die Zeit der Ahnen:
Sie ruhen still auf biedren Tischen
In der Gewässer duft’ger Frische
Sieht man es staunend bräunlich brauen:
Hier ist es Götterlust zu schauen!
Dort an der Pracht der Marmor-Wände
Erglänzt so manches Tuch der Hände.

 
 
 
 
 
 

Die dunklen Bogen ihrer Falten
Wie Berges-Schluchten sich gestalten:
Die Farb‘ ein mattes Silbergrau
Wie frischer Reif auf Flur und Au:
Wenn man sie freudeschauernd lupfet,
Sieht man sie hie und da betupfet…
Doch ist in Akten alt zu lesen:
Sie wären einstens weiss gewesen.
So herrlich war ihr schimmernd Glänzen,
Dass Greise an des Lebens Grenzen
Noch heut in stiller Dämmer-Stunde,
Wenn Mären gehn Mund zu Munde,
Mit Zitter-Stimme davon künden.
Dass sich in Hörers Herz entzünden
Ein Trauern, ein unnennbar Sehnen:
Es tönt der Ruf, erstickt von Thränen:
Ach, diese Schöne ging verloren!
Weh uns, dass wir so spät geboren!

 
 

UND Du, ehrwürd’ger Wasserkrug,
Du leihst der Seele höchsten Flug!
Du hebst uns in den reinsten Aether,
Symbol Du aus der Zeit der Väter!
Verkörpert sind in Deinen Formen
Des Grossen Friedrichs strenge Normen:
Es ist als ob im irdnen Tone
Der Geist des alten Preussens wohne:
Der Geist, der alles hier beschwinget,
Das ganze Institut durchdringet:
Der Geist, der unser Tun verkläret,
Dem Luxus, der Verwendung wehret:

Der Preussen-Geist, er hats uns angetan,
DAS EWIG-PREUSSISCHE ZIEHT UNS HINAN!

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