Ausbildung von 1930 bis heute

Archivarsausbildung im Geheimen Staatsarchiv von 1930 bis heute

Das Aufkommen der massenhaften Zahl an Akten führte um die Jahrhundertwende zum Ruf nach einer verstärkten und professionalisierten Ausbildung von Archivpersonal, insbesondere in Preußen. Die wissenschaftlichen Disziplinen der Archivarbeit waren in dieser Zeit im Entstehen begriffen, nun sollten sie den künftigen Fachkräften auf geeignete Art vermittelt werden. Das Preußische Geheime Staatsarchiv (GStA) bot hierfür neben den führenden wissenschaftlichen Archivaren auch die räumlichen Kapazitäten in seinem modernen Archivzweckbau in Dahlem.

Die Anfänge

Am 1. Mai 1930 gelangten die Planungen um eine staatlich geregelte Ausbildung der Archivare in Preußen mit der Gründung des „Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung“ (IfA) zur Ausführung. Unterrichtet wurde am IfA in den Räumlichkeiten des Verwaltungstraktes des GStA an fünf Wochentagen von 9 bis 13 Uhr. Die Dauer eines Lehrganges variierte im Laufe der Zeit, betrug standardmäßig drei Semester mit zwei Zwischensemestern, wobei letztere dem Selbststudium an der Staatsbibliothek und der Friedrich-Wilhelms-Universität, sowie praktischen Übungen eingeräumt wurden. Der theoretische Unterricht wurde stets durch praktische Kurse und Exkursionen ergänzt. Bei den Dozenten handelte es sich u. a. um den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive selbst, welcher auch die Leitung des Instituts innehatte. Weitere Lehrende waren Archivare des Geheimen Staatsarchivs und auswärtig angeworbene Lehrkräfte, oftmals Privatdozenten und Professoren der Geschichtswissenschaft. Ein beständiger Lehrstuhlwechsel führte zu rotierenden Dozenten im Bereich der Geschichtskurse am Institut. Die ansässigen Archivare mussten nicht selten notdürftig Abhilfe schaffen und übernahmen einen Großteil der Lehrtätigkeit.

Trotz des wechselnden Lehrplanes bildeten sich feste Studieninhalte heraus, die vornehmlich aus dem Fach Archivwissenschaft und den ihr am nächsten verwandten historischen Hilfswissenschaften bestanden: Paläographie, Diplomatik und Aktenkunde sowie allgemeine Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit, insbesondere jener von Brandenburg-Preußen ab 1640. Innerhalb kurzer Zeit wurde diese Zusammenstellung um die Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte erweitert, deren Kenntnis zur Bewältigung des „Massenaktenzeitalters“ als unabdingbar angesehen wurde. Ferner zählten Sprachkurse in Latein, Französisch, Mittelhoch- und Mittelniederdeutsch zu den obligatorischen Lehrinhalten. Im Rahmen des Aufkommens der „Ostlandforschung“ empfahl man sämtlichen Kursteilnehmern den Besuch von Polnisch-Sprachkursen.

1917192919301936

wissenschaftlicher Vorbereitungsdienst:

  • Promotion als Voraussetzung
  • theoretischer Unterricht am Preußischen Geheimen Staatsarchiv
  • praktisch-archivalischer Dienst in einem Provinzialarchiv

Institutskonzept legt Gründung und Inhalte fest:

  • Dauer beträgt 1 ½ - 2 Jahre
  • Kenntnisse gesamter deutscher Geschichte
  • Historische Hilfswissenschaften, Philologie, Sprachen, Rechtswissenschaft, Nationalökonomie

beginn des ersten zweijährigen unentgeltlichen Vorbereitungsdienstes nach Erfüllung der Voraussetzungen:

  • Kenntnisse mittelalterlicher und neuerer Geschichte
  • Lehrbefugnis an höheren Schulen
  • Dissertation über ein geschichtliches Thema

erster dreijähriger Vorbereitungsdienst für den mittleren gehobenen Dienst:

  • Dauer beträgt 3 Jahre (1 ½ Jahre in einem Staatsarchiv, ½ Jahr Ausbildung im Kassen- und Rechnungswesen und 1 Jahr am IfA)
1938193919441944/45

Angestrebte Vereinheitlichung im „Großdeutschen Reich“; „Reichsarchivschulen“ in Berlin und Wien 
(10 - 15 Referendare pro Lehrgang):

  • Unterricht in Verfassungs-, Verwaltungs- und Archivgeschichte auch der Ostgebiete und in Aktenkunde
  • Zipfel setzt Vorgeschichte und Rassenkunde auf dem Lehrplan durch

neue Voraussetzungen für wissenschaftlichen Vorbereitungsdienst:

  • Historische Hilfswissenschaften
  • Promotion sowie Habilitation für mittlere und neuere Geschichte

Änderung der Amtsbezeichnung:

  • Aspiranten à Referendare
  • Archivzivilsuper-numerare à Archivinspektoranwärter

Nachweis der „Deutschblütigkeit“, Reichssportabzeichen/SA-Wehrabzeichen und Wehrmachtsdienst wird nötig

neue Verordnung für wissenschaftlichen Archivdienst übernimmt österreichische Vorgaben:

  • Einführung einer Aufnahmeprüfung
  • Hausarbeit über ein Studienthema des IfA
  • Verlängerung um ein Semester
Übernahme des letzten Jahrgangs durch Marburg; führt Tradition des IfA bis heute fort

Bundesrepublik Deutschland

In der Nachkriegszeit wurden in der BRD die Archivare für die Laufbahn des höheren wie auch des gehobenen Archivdienstes in der Archivschule Marburg theoretisch unterrichtet und erhielten in einem ausbildenden Archiv die nötige Praxiserfahrung. Der höhere Dienst zeichnete sich durch die verkürzte Ausbildungsdauer von zwei statt drei Jahren sowie den verstärkten wissenschaftlichen Fokus aus. Aus diesem Grund war ein abgeschlossenes Geschichtsstudium die Voraussetzung. Die fachlichen Bereiche der Ausbildung unterschieden sich wenig von denen der Vorkriegszeit und wurden nur in nötigen Fällen, wie z. B. bei der Einführung neuer Technologien und Arbeitsweisen dementsprechend angepasst.

Deutsche Demokratische Republik

Wie aber bildete man das Personal des Zentralen Staatsarchivs der DDR aus? Dieses kümmerte sich immerhin jahrzehntelang um Dahlems 1943 ausgelagerte und in der Nachkriegszeit nach Merseburg verlagerte Bestände.

Konkret unterschied man hier zwischen den drei Qualifikationsstufen Archivassistent, Archivar und Diplom-Archivar. Bereits nach der 10. Klasse (Polytechnische Oberschule) bestand die Möglichkeit der Ausbildung zum Archivassistenten. Dagegen war das Abitur nach der 12. Klasse (Erweiterte Oberschule) für die beiden Archivars-Stufen (Archivar und Diplom-Archivar) erwünscht bzw. zwingend notwendig, wobei man diese als Archivassistent noch im Nachhinein durch eine Weiterbildung erreichen konnte.

Praktische Berufserfahrung gehörte in allen drei Ausbildungsgängen dazu. Im theoretischen Teil besuchten die Assistenten eine Berufsschule, Archivare die Fachschule für Archivwesen „Franz Mehring“ in Potsdam. Die Diplom-Archivare absolvierten ein Studium der Archivwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, der früheren Friedrich-Wilhelms-Universität. Charakteristisch für die DDR war, dass in diesem Studium die „marxistisch-leninistische“ Archivwissenschaft inbegriffen war. Auch in den Lehrplänen der Archivschule fand man „Marxismus-Leninismus“ als das Grundlagenfach mit der höchsten Stundenanzahl wieder. Nach Dahlems Vorbild (IfA) erhielten die Auszubildenden zudem Unterricht in Schriftgutverwaltung, Akten- und Schriftkunde und weiteren Fächern, die auch heute noch auf dem Ausbildungsplan stehen.

Wiedervereinigung bis heute

Nach der Wiedervereinigung übernahm man das bundesdeutsche System mit Marburg als theoretischem Standpunkt für die Laufbahnausbildung des höheren wie auch des gehobenen Archivdienstes. In Potsdam etablierte sich an der Fachhochschule innerhalb des Fachbereiches Informationswissenschaften der Studiengang Archiv. Dadurch entstand eine weitere Möglichkeit zum Einstieg in das Archivwesen. Nach dem „Potsdamer Modell“ beträgt die Regelstudienzeit für den Vollzeitstudiengang Archiv sieben Semester und schließt mit einem Bachelor of Arts ab. Das Studium besteht aus grundlegenden Pflichtmodulen, fachspezifischen Pflicht- und Wahlmodulen, praxisnahen Projektmodulen, zwei Praktika, interdisziplinären Interflex-Kursen und endet mit der Erstellung einer Bachelorarbeit. Des Weiteren bietet die Fachhochschule Potsdam einen Bachelorabschluss in der Fernweiterbildung sowie einen weiterbildenden Masterstudiengang Archivwissenschaft an.

Gegen den Fachkräftemangel: Ausbildung im GStA PK Bildnachweis: © GStA PK / Christine Ziegler
Gegen den Fachkräftemangel: Ausbildung im GStA PK Bildnachweis: © GStA PK / Christine Ziegler

In der BRD wurde 1998 der Beruf „Fachangestellter für Medien- und Informationsdienste“ (FaMI) mit der Fachrichtung Archiv eingeführt, der im Wesentlichen dem in der DDR vorhandenen Ausbildungsberuf Archivassistent gleichzusetzen ist und im „mittleren Dienst“ angesiedelt ist. Auch hier dauert die Ausbildung drei Jahre inklusive theoretischem Teil in einer Berufsschule.

Unter der Annahme, dass man den „Marburger Weg“ einschlagen möchte, wie käme man zu solch einer Ausbildungsstelle beispielsweise im gehobenen Dienst?

Meist stoßen die zukünftigen Auszubildenden auf ihre späteren ausbildenden Archive durch Stellenanzeigen. Diese kann man jederzeit auf der Website der Archivschule Marburg unter dem Punkt „Service > Stellenanzeigen“ einsehen. Schafft man es, nach Anschreiben und dem folgenden Prüfungsgespräch erfolgreich eine Stelle als Anwärterin/Anwärter zu erhalten, verlassen sie Archiv und Archivschule in der Regel nach drei Jahren als ausgebildete Diplom-Archivarinnen bzw. Diplom-Archivare mit guten bis sehr guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.

Beginnt man die Ausbildung in Bayern, so schlägt man einen anderen Weg als in den restlichen Bundesländern ein. An der seit 1821 existierenden „Bayerischen Archivschule“ werden auch FaMIs (zweite Qualifikationsebene) und Archivare im gehobenen (dritte Q.) sowie höheren Dienst (vierte Q.) ausgebildet. Das Besondere im gehobenen Dienst ist, dass sowohl Fachstudium als auch Berufspraxis in der Hauptstadt München vermittelt werden, sodass man sich keine Gedanken um zahlreiche Ortswechsel machen muss. Der Abschluss „Diplom-Archivar“ ist gleichwertig mit dem gleichnamigen Abschluss der anderen Bundesländer.

Das Berufsbild von Archivarinnen und Archivaren hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Alle genannten Einrichtungen vermitteln neben den generellen Ausbildungsinhalten zum Berufsbild Archivar, auch dessen Veränderung durch die fortschreitende Digitalisierung. Dementsprechend wurden und werden die zu vermittelnden Ausbildungsinhalte stetig angepasst. Die Anwärterinnen und Anwärter im GStA PK erlernen heute beispielsweise das Verwalten von aktenrelevantem Schriftgut mittels elektronischer Aktenführung (E-Akte) und die Erschließung von Archivgut mit einem modernen Archivfachinformationssystem (AFIS).

Literatur:

Archivwesen der DDR (Lexikon, Theorie und Praxis, Taschenbuch), Berlin 1976.

Brackmann, Albert: Das Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung am Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, in: Archivalische Zeitschrift Band 40, München 1931, Seite 1 - Seite 16.

Brackmann, Albert: Das Dahlemer Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung in den Jahren 1930 - 1932 und das Problem des archivalischen Nachwuchses, in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, Band 80, Berlin 1932, Spalte 150 - Spalte 155.

Hochedlinger, Michael: Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, Wien u. a. 2009.

Metzing, Birgit: Ausbildungseinrichtungen im Archivwesen der DDR, Marburg 1996.

Puppel, Pauline: Die „Heranziehung und Ausbildung des archivalischen Nachwuchses“. Die Ausbildung am Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung in Berlin-Dahlem (1930 - 1945), in: Kriese, Sven (Hrsg.): Archivarbeit im und für den Nationalsozialismus. Die preußischen Staatsarchive vor und nach dem Machtwechsel von 1933, Berlin 2015, Seite 355 - Seite 370.

Weitere Artikel dieses Dossiers