Wie kommt der Adler aufs Dach?

Wie kommt der Adler aufs Dach?

Kurz nach dem 1. Weltkrieg wurde auf dem Gebiet der Dahlemer Domäne ein Neubau errichtet. Nichts verriet, welcher Tätigkeit die Männer in dem Gebäude nachgingen, die morgens durch das Hautportal hinein- und abends wieder hinausströmten. Der Leiter der Behörde wollte, dass die staatstragende Funktion seiner Mitarbeiter sichtbar sein sollte. 1922 verlangte er nach einer „sofort ins Auge fallenden Inschrift über die Zweckbestimmung“ und nach dem staatlichen Hoheitszeichen. Vier Jahre später wurde Wappen des Freistaats Preußen im Giebel des Gebäudes angebracht.

von Pauline Puppel

Raumnot und Platzmangel machten Ende des 19. Jahrhunderts einen neuen Archivstandort für das Geheime Staatsarchiv notwendig. Den archivischen Erfordernissen war der preußische Staat durchaus aufgeschlossen und nach einigem Hin und Her fiel im Februar 1914 die Entscheidung für den Bauplatz in Dahlem.[1] Im April 1915 wurden die Arbeiten begonnen, die erst nach dem Ersten Weltkrieg abgeschlossen wurden.

Bei der feierlichen Eröffnung des neuen Gebäudes Ende März 1924 schritten der Preußische Ministerpräsident und der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive vor dem Mittelhof einher. Auf dem erhaltenen Foto ist der Giebel des Staatsarchivs wohlweißlich nicht zu sehen.[2]

Denn per Erlass vom 27. Dezember 1922 war der Fortfall des vom Architekten vorgesehenen Giebelschmucks angeordnet. Fürstenaus erste Modelle des Staatsarchivs stammen noch aus der Kaiserzeit; mithin prangt über dem Eingangsportal das Königlich Preußische große Wappen.[3] Jedoch waren in der jungen Republik monarchische Zeichen unerwünscht und mussten von öffentlichen Gebäuden sogar entfernt werden.[4] Darüber hinaus wurden die Baukosten ins Feld geführt. Nicht nur der ursprüngliche Giebelschmuck, sondern auch der von Fürstenau geplante Balkon und die Fensterbekrönungen fielen nun weg. Säulen wurde durch flache Pilaster ersetzt.[5]

Anstelle des majestätischen Hoheitszeichen war ein schlichtes, kleines Fenster in die Giebelfläche gefügt worden. Diese nach Ansicht von Melle G. Klinkenborg, dem Leiter des Staatsarchivs, „ästhetisch durchaus unbefriedigend“ wirkende Giebelgestaltung hatte bereits im Herbst 1922 dazu geführt, dass aus dem Kreis der Archivare der Wunsch an ihn gerichtet worden sei, das Verwaltungsgebäude mit dem preußischen Adler und eine „durch Grösse und Ort sofort ins Auge fallenden Inschrift über die Zweckbestimmung des Gebäudes“[6] zu zieren.

Das Wappen des Landes Preußen war nach dem Ersten Weltkrieg geändert worden. Im Juli 1921 hatte der Preußische Ministerpräsident den Beschluss des Staatsministeriums über das zukünftige Landeswappen bekannt gegeben: auf weißem Grund einen einköpfigen, auffliegenden schwarzen Adler, den Kopf vom Beschauer nach rechts gewendet, den geschlossenen Schnabel und die Fänge von gelber Farbe.[7]

Obwohl der Preußische Finanzminister wegen der zu hohen Kosten von einer nachträglichen Anbringung abriet, verlangte der Ministerpräsident 1923, dass der Giebel über dem „monumentalen Staatsbau“[8] würdig zu gestalten sei. Das „Rundloch erscheint mir nicht einmal als dekorativer Notbehelf erträglich.“[9]

Otto Braun ließ daher Vorschläge für die Ausgestaltung und entsprechende Kostenvoranschläge einholen. Der Architekt lieferte daraufhin im April zwei und im September 1923 fünf weitere Vorschläge für das preußische Staatswappen, das aus dem in Berlin viel verbauten Wünschelburger Sandstein gemacht werden sollte. Er führte aus, dass eine symmetrische Gestaltung wegen der senkrechten Architektur am besten passen werde.[10] Unter dem Adler sollte eine Inschrift auf die Zweckbestimmung des Gebäudes hinweisen. Es gab die Überlegung, das Wappentier wie in den Monumentalbauten des 18. Jahrhunderts von einer Kartusche gerahmt zu zeigen. Ohne Kartusche entstehe der Eindruck, „daß der Adler im Giebelfelde ‚schwimmt‘.“[11] Fürstenau befürwortete einen seiner Entwürfe, den Generaldirektor Kehr jedoch als „Barockzuckerbäckerei“[12] ablehnte. Der Ministerpräsident verlangte nach einer Adler-Darstellung, die in bewegter Form und in größeren Verhältnissen auf dem Giebel des Gebäudes angebracht werden sollte. Otto Braun betrachtete das Staatsarchiv als „historisches Denkmal“[13], dessen monumentaler Charakter unterstrichen werden sollte.

Im Herbst 1923 wurden die Kosten auf rund 12.260.000.000 Mark veranschlagt. Der Finanzminister votierte daher für die „Belassung des einfachen Rundfensters“, da bereits die Inschrift „die äußere Erscheinung des Gebäudes sehr heben“[14] werde. Dabei blieb es zunächst.

Im Mai 1925 bat Generaldirektor Kehr erneut um die Gestaltung des Giebels.[15] Im Sommer 1925 verlangte der Ministerpräsident, an der Entscheidung über die Gestaltung des Adlers im Giebel persönlich beteiligt zu werden. Während seines Sommerurlaubs ruhten daher die Bauarbeiten. Kehr und Braun entschieden sich Anfang August 1925 schließlich für einen Entwurf, „der nicht nur durch seine Einfachheit an sich gut wirkt, sondern auch der heutigen Zeit der Einfachheit und Sparsamkeit am besten Ausdruck gibt“[16]. Die Kosten für Adler nebst Inschrift veranschlagte Fürstenau nun auf 10.400 RM, was knapp einem Viertel der Jahresbezüge des Ministerpräsidenten entsprach.[17]

Im Jahr 1926 war es schließlich soweit: Der Adler des Freistaats Preußen ziert seit dem, ganz so wie es der Ministerpräsident persönlich bestimmt hatte, den Giebel des Geheimen Staatsarchivs. Das Gebäude ist damit schon von weitem als „Pflegestätte der (brandenburg-) preußischen Erinnerungskultur“[18] erkennbar.


[1] Vgl. Strecke, Reinhart: Der lange Weg nach Dahlem. Baugeschichte und -probleme des Geheimen Staatsarchivs, in: Archivarbeit für Preußen. Symposium der PKH und des GStA PK aus Anlass der 400. Wiederkehr der Begründung seiner archivischen Tradition, hg. von Jürgen Kloosterhuis, Berlin 2000, S. 27-46, hier 39 f.

[2] GStA PK, IX. HA, SPAE, VII Nr. 2549. Otto Braun, preußischer Ministerpräsident (*1872, †1955) und Paul Fridolin Kehr, Direktor des Geheimen Staatsarchivs (*1860, †1944), bei der Feierlichkeit zur Eröffnung 1924 vor dem Eingangsportal.

[3] Berlinische Galerie – Museum für Moderne Kunst, AS 88.197: Ansicht Modell Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Verwaltungsgebäude Berlin-Dahlem, Archivstr.12, um 1914.

[4] GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 311 Nr. 246, vgl. I. HA Rep. 169 D Landtag, II b F, Nr. 6.

[5] GStA PK, I. HA Rep. 151, IV Nr. 1396.

[6] GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2004 und I. HA Rep. 151, IV Nr. 1396.

[7] GStA PK, I. HA Rep. 169 D Landtag, II b F, Nr. 6; vgl. ebd., IX. HA SPAE VII Nr. 2619.

[8] GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2004 und I. HA Rep. 151, IV Nr. 1396.

[9] GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2004.

[10] GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2004. Die Entwürfe sind nicht erhalten; vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr.Br. Rep. 042 Nr. 1759: Baubestandszeichnungen 6.10.1926 ans GStA abgegeben.

[11] GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2004.

[12] GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2004, Bl. 260.

[13] GStA PK, I. HA Rep. 151, IV Nr. 1396.

[14] GStA PK, I. HA Rep. 151, IV Nr. 1396.

[15] GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2004.

[16] GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2004; vgl. I. HA Rep. 151, IV Nr. 1397.

[17] GStA PK, VI. HA Nl. Braun, O., Nr. 586.

[18] Kloosterhuis, Jürgen: Adler heute, in: Adlers Fittiche. Wandlungen eines Wappenvogels. Dokumentation einer Präsentation des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, bearb. von Christiane Brandt-Salloum u. a., Berlin 2008, S. 84-90, hier 84; vgl. Ders.: L’Amour des Trois Lettres, 2008, in: Adler-Plaudereien. Anlassreden und Buchvorstellungen, Gruß- und Geleitworte 1996–2017, hg. von Dems., Berlin 2022, S. 90 f. Im Jahresbericht 1926 ist erwähnt, dass der Adler angebracht wurde, siehe GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1930.

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