Ansprache bei Eröffnung des Neubaus des Geheimen Staatsarchivs in Dahlem
Ansprache bei Eröffnung des Neubaus des Geheimen Staatsarchivs in Dahlem
Als das Geheime Staatsarchiv am 26. März 1924 feierlich seinen Neubau eröffnete, hielt Melle Klinkenborg (1872 – 1930), der geschäftsführende zweite Archivdirektor, einen Festvortrag zu Geschichte und Aufgaben des Staatsarchivs. Wenn er in diesem Vortrag die älteste Erwähnung „unseres Archivs“ auf 1282 datierte, suggerierte er freilich eine institutionelle Kontinuität, die sich tatsächlich erst ab 1598 mit Gewissheit feststellen lässt.
Die Verlegung des Geheimen Staatsarchivs von der Klosterstraße, von der Stelle der ältesten markgräflichen Residenz, nach Dahlem, bedeutet einen tiefen Abschnitt in seiner Geschichte, denn hier haben wir das gefunden, was wir für unsere Organisation brauchen: Licht, Luft und Raum. Bei den engen kümmerlichen Verhältnissen der Klosterstraße mussten wir uns wegen Unterbringung des geringsten Zuwachses sorgen, mussten wir die Staatsbehörden von Abgaben an uns zurückhalten, so dass eine vollständige Stockung in unseren Aufgaben eintrat. Das ist hier jetzt anders geworden. Wie sehr, beleuchtet die Tatsache, dass unsere seit mehr als 700 Jahren angesammelten Bestände sich hier in Dahlem um ein volles Drittel zum Mindesten vermehrt haben.
Sie können verstehen, wie wohl wir uns hier fühlen: wir gedenken daher in Dankbarkeit auch aller, welche durch Aufschließung Dahlems uns vorgearbeitet haben. Dazu gehören auch sie, meine Damen und Herren. Deshalb ist es für uns eine besondere Freude Sie hier begrüßen und Ihnen unsere Schätze zeigen zu dürfen.
Archive, meine Damen und Herren, pflegen zu den ältesten Behörden eines Staates zu gehören: es ist dies sehr natürlich, denn jeder Staat muss sorgfältig die Urkunden und Dokumente aufbewahren, auf denen seine rechtliche Existenz nach außen und innen beruht. Aber nicht immer sind die Archive in der Lage, ihr Hineinragen in die Anfänge des Staates quellenmäßig nachzuweisen, wie wir es für das Geheime Staatsarchiv tun können. Bereits im Jahre 1282 wird seiner von dem Markgrafen Otto mit dem Pfeil und Konrad gedacht, in dem sie einen eigenen Beamten, einen Domherrn mit der Aufsicht über ihre in der St. Nikolaikirche zu Stendal niedergelegten Urkunden betrauen. Dies ist die älteste Erwähnung unseres Archivs, dessen Ursprung aber vermutlich in noch frühere Zeiten fällt. Ununterbrochen hat es seitdem bestanden und blickt somit auf ein Alter zurück, auf das kaum eine andere Behörde unseres Staates Anspruch machen kann.
Die erste erwähnte Nachricht gibt uns zugleich ein typisches Bild für jene Zeiten. Als Aufbewahrungsort wird eine Kirche vorgesehen. Ein weit verbreiteter Brauch, denn dort war die Sicherung größer als auf einer landesherrlichen Burg, die ja in jenen stürmischen Zeiten häufig genug belagert und zerstört wurde. Der Archivar war ein Geistlicher, wie natürlich, denn nur ein solcher war damals im Besitz der schwierigen Kunst des Lesens und Schreibens und verstand die lateinische Sprache, in der die Urkunden ausgestellt wurden.

Unter diesen Zeichen steht auch in den nächsten Jahrhunderten, bis in das sechzehnte hinein, die weitere Verwaltung des markgräflichen Archivs, allerdings ändert sich der Aufbewahrungsort häufig genug. Statt Stendals tritt unter den Wittelsbachern Frankfurt a. O., unter den Luxemburgern die damalige Residenz Tangermünde, unter den Hohenzollern im Wechsel das Stift auf der Burg zu Brandenburg, das graue Kloster und das Dominikanerkloster zu Berlin-Cölln, schließlich am Ende des sechzehnten Jahrhunderts die Residenz zu Cölln an der Spree; dort ist es dann mehrere Jahrhunderte bis 1874 verblieben.
Trotz allen Ortswechsels ist die Verwaltung stets in sorgfältiger Weise geführt worden, zunächst noch durch Geistliche, später durch weltliche Beamte: genau nach der Vorschrift in der ältesten Erwähnung, die summa diligencia [größte Sorgfalt] von ihnen verlangte.
Welches war nun in diesen Jahrhunderten der Inhalt des Archivs. In den ältesten Zeiten handelte es sich nur um Privilegien und Urkunden, die auf Pergament geschrieben waren und kaiserliche und päpstliche Verleihungen an die Markgrafen, Verträge mit auswärtigen Fürsten, Käufe und dergleichen betreffen. Allmählich vermehrt sich der Umfang: es treten Registerbände, in denen die Ein- und Ausgänge eingetragen sind und die bald auf Papier geschrieben werden, hinzu. Weiter Briefe, Korrespondenzen auf Papier, endlich entstehen ganze Aktenbände über die gepflogenen Verhandlungen u.s.w. So wird es denn im sechzehnten Jahrhundert schon ein großer Bestand, für den eine feste Gliederung eingeführt werden musste.
Das geschah im Jahre 1598, als Kurfürst Johann Georg starb. Sein Nachfolger war sein Sohn Kurfürst Joachim Friedrich, der lange Jahre als Administrator des Erzbistum Magdeburg selbständig, aber höchst bürokratisch regiert hatte. Vater und Sohn waren zuletzt in scharfen Konflikt geraten, weil der Vater seine jüngeren Söhne gegen den Willen des Kurprinzen mit Land ausstatten wollte. Zu dem Zwecke hatte der Vater ein Testament gemacht. Es wurde sofort von dem neuen Herrscher umgestoßen, der außerdem die Räte des Vaters dafür verantwortlich machen und deshalb die Testamentsakten einsehen wollte. Sie waren nicht zur Stelle. Nun befahl Joachim Friedrich seinem bisherigen Magdeburger Sekretär Erasmus Langenhain eine gründliche Untersuchung des Archivs vorzunehmen. Alles vergeblich. Joachim Friedrich und sein getreuer Sekretär haben die Testamentsakten nie gesehen. Und Jahrhunderte lang ist dies Verschwinden ein Rätsel geblieben, bis nach 1866 die Erklärung kam. Die Vorgänge sind nicht ohne Humor. Das fürstliche Frauenzimmer, wie man damals sagte, die Kurfürstin-Witwe hatte ihren Stiefsohn und seinen Sekretär überlistet. Sie hatte den Sturm kommen sehen, und kurzerhand die gefährlichen Akten bei Nacht und Nebel nach Ansbach-Baireuth zum dortigen Hohenzollernfürsten Georg Friedrich gesandt. In dessen Archiv beruhten sie friedlich, während der Kurfürst und Langenhain sie in allen Verstecken suchten. Sie kamen 1866 wieder zu Tage, als nach dem damaligen Kriege Bayern die hohenzollernschen Hausakten an das Hausarchiv zu Berlin abgab.
Verfehlte so das Suchen Langenhains seinen eigentlichen Zweck, so hatte es das Gute, dass damals alle Bestände gründlich revidiert und verzeichnet wurden. Mit großer Genauigkeit und vielem Fleiß haben Langenhain und sein Nachfolger Johann Cernitius Repertorien angelegt, aber mancherlei Mängel hafteten ihnen an, denn sie waren nicht auf den ständigen Zuwachs berechnet. Zu diesen Mängeln kamen nun in der Zeit des dreißigjährigen Krieges neue Schwierigkeiten hinzu: die Archivalien mussten der Sicherheit wegen in die Festungen Spandau, Küstrin und Peitz geflüchtet werden. Als nun noch die Archivare 1639 beide starben, wurde die Verwirrung groß.
Diesen Missständen suchte die kurfürstliche Regierung durch Anstellung einer hervorragenden Kraft abzuhelfen. Aber eine solche war nicht leicht zu finden. Glaubte man eine solche zu haben, so sprang sie sofort ab, sobald sie die Unordnung und den Schmutz des Archivs sah. Endlich bot der Vizekanzler Kohl seinem Schwager, Christoph Schönbeck, den Posten an und dieser nahm in Harmlosigkeit an. Dann aber wurde sein Schrecken groß, als er sich ans Werk begab. Täglich ergriff ihn am Schluss des Dienstes ein Schauder vor der Aktenmasse, sodass er auf dem Heimweg die Resolution fasste, nicht mehr zum Werke zurückzukehren, zumal drei von ihm engagierte Diener bereits davongelaufen waren. Aber der Schimpf, den er dann auf sich geladen hätte, hielt ihn von dem Rücktritt ab.
Endlich aber ergriff ihn das Werk und er wurde sein Meister. Seine Organisation hat die Jahrhunderte überdauert und besteht noch heute. Wer aber war dieser Mann? Er stammte aus Stendal, wo seine Familie zu den vornehmsten und reichsten Patriziern gehörte. In Frankfurt a. O. hatte er studiert und sich in den Besitz der gesamten Bildung der Zeit gesetzt. Dann war er in die Vaterstadt zurückgekehrt, hatte sich dort verheiratet und wollte wie seine Vorfahren in städtische Dienste treten. Da traf ihn ein Schicksalsschlag, seine Frau verstarb plötzlich. Voll Verbitterung verließ er nun zum zweiten Mal seine Vaterstadt, kam nach Berlin, in das Haus seines eben genannten Schwagers, des Vizekanzlers Kohl. Hier spielte er den Griesgram: wir können wohl kaum zweifeln, dass Kohl, um ihn den größten Teil des Tages aus dem Hause zu haben, ihm das Archivarsamt übertrug.
Wenn auch hierfür nicht vorgebildet, hat er sich bewährt. Ich kann hier sein Werk nicht ausführlicher schildern: aber es besteht noch heute, denn seine Nachfolger haben es voll übernommen und nur weiter ausgebaut. Dieser Ausbau ist bis zum Jahre 1806, bis zum Zusammenbruch des alten Staates, fortgesetzt worden. Erst als dann mit der Wiederaufrichtung des Staates durch Stein [und] Hardenberg in den Jahren 1808 bis 1816 ganz neue Bedingungen geschaffen wurden, hat man auch eine neue Organisation für die neuen Zeiten zu schaffen gesucht.
Es hat lange gedauert, bevor man sie definitiv gefunden hat, denn sie wurde erst in den Jahren 1880 – 1882 endgültig festgelegt. Sie besteht darin, dass man festsetzte, dass die Behördenorganisation des Staates sich auch in dessen Archiv wiederspiegeln solle, in dem man die abgegebenen Registraturteile jeder Behörde zusammenließ und für sich aufstellte. Dieses sogenannte Provenienzprinzip hat die Probe glänzend bestanden: nach ihm stellen wir heute alle Bestände auf.
An das Geheime Staatsarchiv geben nun Erstens alle Zentralbehörden des preußischen Staates und Zweitens alle Staatsbehörden in der Provinz Brandenburg ihre historisch gewordenen Akten ab. Jährlich kommen ungeheure Bestände an, die es gilt, auf ihren Wert zu prüfen und zu sondern, sie sodann aufzustellen und zu verzeichnen und endlich der Benutzung für historische und andere Zwecke zugänglich zu machen. Anhand einer Reihe schöner Beispiele, die mein Kollege Herr Staatsarchivrat Dr. Posner ausgesucht hat, werden wir Ihnen ein Bild von diesen Beständen, sowie von unserer Tätigkeit zu geben versuchen.
Ich kehre damit zu dem Ausgangspunkt meiner kurzen Ausführungen zurück: zu dem hiesigen Bau, den uns der preußische Staat trotz der Schwere der Zeiten hat ausführen lassen. Ich habe die Freude, Ihnen ankündigen zu dürfen, dass Sie von berufenster Seite darüber unterrichtet werden. Herr Regierungs- und Baurat Büssow, der unsern Bau ausgeführt hat, hat sich zu einer Erläuterung bereit erklärt; ich bitte ihn daher, dies nunmehr tun zu wollen.
Quelle: GStA PK, I. HA, Rep. 178 B Nr. 993, Bl. 46 – 51

