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Kant und die Kabinettsordre
News vom 22.04.2024
Ein schriftlicher Befehl von König Friedrich Wilhelm II. an Immanuel Kant befindet sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz – aber nur in Abschrift. Doch wo befindet sich die Vorlage?
2024 wird der 300. Geburtstag einer Berühmtheit bundesweit mit Vorträgen und Veranstaltungen bedacht: Am 22. April 1724 wurde in Königsberg Immanuel Kant geboren, der als einer der einflussreichsten Philosophen seiner Zeit in die Geschichte eingehen sollte.
Da das ostpreußische Königsberg damals zum Königreich Preußen gehörte, liegt die Frage nahe, ob im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Archivalien zu Kant schlummern. Tatsächlich stößt man nach kurzer Recherche in der Datenbank des Geheimes Staatsarchivs auf eine an Kant adressierte Kabinettsordre König Friedrich Wilhelms II. aus dem Jahre 1794.
Wieso ließ der König diese Kabinettsordre aufsetzen? Es ging darin um Kants Philosophie im Verhältnis zu dessen Lehramt an der Universität Königsberg. Wie die Quelle erkennen lässt, missfiel dem König die „Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des Christenthums“, die er aus Kants Werk Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft herauslas. Damit verstoße dieser gegen seine „Pflicht als Lehrer der Jugend“ und missachte die ihm „sehr wohl bekannten, landesväterlichen Absichten.“ Er schließt mit der Warnung, dass der damals bereits siebzigjährige Kant sich „bey fortgesetzter Renitenz […] unangenehmen Verfügungen“ zu stellen habe.
Überliefert ist die Ordre im Nachlass des preußischen Ministerialdirektors im Kultusministerium, Friedrich Theodor Althoff (1839-1908). Dieser sammelte unter dem Titel Heroen alle Schriftstücke, „aus denen die Charakterschwächen der Gelehrten erhellen“ – darunter auch die bereits genannte Kabinettsorder vom 1. Oktober 1794 (Signatur: VI. HA, Nl Althoff, F. T., Nr. 49). Die Sammlung enthält allerdings nicht die Kant 1794 zugestellte Ausfertigung, sondern lediglich eine nach dem ersten Band der Kant-Biografie von Ludwig Ernst von Borowski, veröffentlicht 1804, angefertigte Abschrift.
Lassen sich in den Beständen des Geheimen Staatsarchivs mögliche Vorlagen für die bei Borowski abgedruckte Kabinettsordre nachweisen? Für eine Erstrecherche bieten sich die sogenannten Kabinettsminüten im Bestand I. HA Rep. 96 B Minüten, Extrakte, Remissionsjournale an. Bei diesen Kabinettsminüten handelt es sich um eine durch Friedrich Wilhelm I. eingeführte, von 1728 bis 1809 fortlaufende und insgesamt 129 Nummern umfassende Amtsbuchserie, in deren einzelnen Bände Tag für Tag alle aus dem Kabinett des Königs ergangenen Anweisungs- und Mitteilungs-Schreiben in Abschrift zur Informationssicherung eingetragen wurden.
Leider weisen die Amtsbücher selbst aber auch Lücken auf – und so liegt kein Band vor, in dem die gesuchte Kabinettsordre vom 1. Oktober 1794 enthalten sein könnte. So bleibt die Suche nach einer Vorlage für die Edition letztlich ergebnislos. Umso glücklicher ist es, dass sich im genannten Nachlass wenigstens eine Abschrift erhalten hat.
Cedric Howeg