Ein „Hof- und Staatsbeamter“ wie ich

News vom 15.02.2024

Rudolf von Stillfried-Alcántara (1804-1882), aus altem böhmisch-schlesischem Adelsgeschlecht stammend, katholisch, gehörte über Jahrzehnte am preußischen Hof zum engsten Kreis der Hofchargen.

Adolph Menzel, Oberzeremonienmeister Rudolf von Stillfried-Alcántara. Bleistift, etwas aquarelliert, auf Papier, 1863.  © Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, SZ Menzel Kat. 997. Foto: Volker-H. Schneider.
Adolph Menzel, Oberzeremonienmeister Rudolf von Stillfried-Alcántara. Bleistift, etwas aquarelliert, auf Papier, 1863. © Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, SZ Menzel Kat. 997. Foto: Volker-H. Schneider.

Ein „Hof- und Staatsbeamter“ wie ich

Rudolf von Stillfried-Alcántara (1804-1882), aus altem böhmisch-schlesischem Adelsgeschlecht stammend, katholisch, gehörte über Jahrzehnte am preußischen Hof zum engsten Kreis der Hofchargen. Sein Selbstverständnis bezog er als „preußischer Beamter“ – er charakterisierte sich nicht unabhängig als „Hof- und Staatsbeamten“ – und zugleich als homme de lettres, als Gelehrter und Wissenschaftler, das zumindest geht aus verschiedenen Selbstzeugnissen explizit hervor.

Bereits ein Jahrzehnt zuvor kennengelernt, betraute ihn Friedrich Wilhelm IV., der bekanntlich einen ausgeprägten Sinn für traditionelles monarchisch-dynastisches Zeremoniell besaß, beim Thronwechsel 1840 mit den Aufgaben eines höfischen Zeremonienmeisters. Drei Jahre später zum Vice-Oberzeremonienmeister ernannt, oblag Stillfried bereits jetzt die gesamte Aufsicht über das höfische Zeremonialwesen, zehn Jahre später wurde er folgerichtig auch formal zum Oberzeremonienmeister befördert. Auch unter Wilhelm I. blieb Stillfried über Jahrzehnte eine zentrale Figur für dynastische Traditionsstiftung, Erinnerungspolitik und Geschichtsschreibung. So vertraute der Monarch ihm die Organisation und Durchführung der „feierlichen Krönung“ am 18. Oktober 1861 als Erneuerung der 1701 mit der (Selbst-) Krönung Kurfürst Friedrichs III. zum König (I.) in Preußen begründeten erblichen Königswürde am historischen Ort an.

Staatsdiener und Historiker

In Stillfrieds Persönlichkeit lag mehr als das sichere stilistische Gespür für dynastische Symbolik, Herrschaftsrepräsentation und Herrschaftsinszenierung, denn genauso wie dem Staatsdienst hatte er sich der historischen Wissenschaft verschrieben. So übernahm er 1855 die Leitung des für Adelsangelegenheiten aller Art zuständigen Heroldsamtes, ein Jahr später auch das neu eingerichtete Archiv des Königlichen Hauses, dessen Bestände als Überlieferung des Hauses Hohenzollern seit den beginnenden 1850er Jahren unter seiner Federführung aus dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv separiert wurden. Wenngleich als wissenschaftlicher Autodidakt mit engen Kontakten zur universitären Geschichtswissenschaft, sah er sich der Erforschung der Geschichte des Hauses Hohenzollern verpflichtet. Er entfaltete eine rege publizistische Tätigkeit, die sich in zahlreichen Darstellungen und Quellensammlungen niederschlug.

32 Tagebücher, 13 Jahre Editionsarbeit, mehr als 3.500 Seiten

Seine Funktionen und Arbeitsfelder deuten bereits an, welchen Quellenschatz Stillfrieds Tagebücher, die er mit großer Akribie und Kontinuität bis wenige Wochen vor seinem Tode beinahe täglich führte, bergen: von der höfischen Lebenswelt mit ihren speziellen Hierarchien, Funktionsweisen, Kommunikationskanälen und Interaktionen bis hin zu umfassenden wissenschaftlichen und kulturhistorischen Fragestellungen und Anschauungen.

In fünf Bänden mit mehr als 3.500 Seiten liegt uns nun eine historisch-kritische Edition dieser Tagebücher vor (28 im Eigentum der Nachfahren der Familie Stillfrieds, drei im amtlichen Nachlass des Hof- und Staatsbeamten im Geheimen Staatsarchiv PK, eines in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz), einschließlich Gesamtpersonen- und Gesamtortsregister. Nach intensiven Vorarbeiten setzte die eigentliche Editionsarbeit 2011 mit der Übergabe der Tagebücher aus dem Familienbesitz an den Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit in Stuttgart ein. Aufbauend auf das deutsch-polnische Verbundprojekt „Adel in Schlesien“ sollte hier unter der Leitung von Professor Dr. Joachim Bahlcke die schlesische Adelsgesellschaft, der auch Stillfried entstammte, in ihrer spezifischen Prägung und in ihren Traditionen auf Basis der Erfahrungen mit den Überlieferungen in privaten Adels- und Gutsarchiven erforscht werden. So wird heute wichtiges Material zur Überlieferungsgeschichte der Tagebücher im Staatsarchiv Breslau verwahrt. Erst mit der Kenntnis dieser Dokumente konnte das Wirken Stillfrieds in Berlin nachvollzogen werden. 

Zahlreiche Mitwirkende, die Aussicht, Lehre und Forschung in einzigartiger Weise miteinander zu verbinden, die Chance für Studierende, mit authentischem Material zu arbeiten, vor allem aber tragfähige Strukturen und immer wieder großzügige Förderungen von den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, von Stiftungen, historischen Kommissionen, Vereinen und von vielen anderen haben die Arbeiten des Lehrstuhls für Frühe Neuzeit und des Projektbereichs Schlesische Geschichte immer wieder unterstützt. – Doch ohne das Vertrauen der Familie und den langjährigen Austausch mit ihr gäbe es diese Edition nicht.

Gern hat das Geheime Staatsarchiv PK die Edition der Tagebücher in seine amtliche Reihe aufgenommen. Satz und Druck erfolgten mit großzügiger Unterstützung des Projektbereichs Schlesische Geschichte an der Universität Stuttgart, der Historischen Kommission für Schlesien, der Erika-Simon-Stiftung, des Vereins der Freunde des Historischen Instituts der Universität Stuttgart sowie der Stiftung Kulturwerk Schlesien.

Stefanie Bellach – Paul Marcus

Die Tagebücher des preußischen Hof- und Staatsbeamten Rudolf Graf von Stillfried-Alcántara 1827 bis 1882. Eine historisch-kritische Edition. Hrsg. von Joachim Bahlcke und Roland Gehrke. 5 Teilbände (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz / Quellen Band 75), Berlin Duncker & Humblot 2023
Frontispiz I, 76 Abb., 3.980 Seiten
Print <ISBN 978-3-428-19014-0> 
geb. € 399,90