Kurfürst zwischen Renaissance und Reformation – Joachim II. von Brandenburg

News vom 07.11.2022

Ob der 1. November des Jahres 1539 ein trüber Tag war, wissen wir nicht. Doch der Allerheiligentag war von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg (1505-1571, 1535 Markgraf, Kurfürst und Erzkämmerer) mit großem Bedacht gewählt worden

Lucas Cranach d. J. [Monogrammist IS (Jost Stetter?)]: Porträt von Joachim II., Kurfürst von Brandenburg, um 1560/70 (?), Gemälde, Birnbaum oder Buche, 47 x 34 cm (© The Pushkin State Museum of Fine Arts, Nr. ЗЖ-937).
Lucas Cranach d. J. [Monogrammist IS (Jost Stetter?)]: Porträt von Joachim II., Kurfürst von Brandenburg, um 1560/70 (?), Gemälde, Birnbaum oder Buche, 47 x 34 cm (© The Pushkin State Museum of Fine Arts, Nr. ЗЖ-937).

Ob der 1. November des Jahres 1539 ein trüber Tag war, wissen wir nicht. Doch der Allerheiligentag war von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg (1505-1571, 1535 Markgraf, Kurfürst und Erzkämmerer) mit großem Bedacht gewählt worden, um beim Gottesdienst in aller Öffentlichkeit und für jeden sichtbar mit dem Empfang des Abendmahls in beiderlei Gestalt seinen Übertritt zum lutherischen Protestantismus zu demonstrieren. Denn am Tage 22 Jahre zuvor hatte Martin Luther seine 95 Thesen in einem Brief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg, in Umlauf gebracht und vielleicht auch selbst an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt, um endlich deren Disputation in Gang zu bringen. Eine Stellungnahme Albrechts, des bekanntesten Gegenspielers Luthers, blieb damals aus.

Fünf Jahre nach der von ihm 2017 kuratierten Ausstellung „Kreuzwege. Die Hohenzollern und die Konfessionen“ zum 500. Reformationsjubiläum legt der Historiker Mathis Leibetseder, Referatsleiter beim GStA PK und zuständig für die kurbrandenburgischen Überlieferungen seine Arbeit über „Joachim II. von Brandenburg. Kurfürst zwischen Renaissance und Reformation“ vor. Erstmals wird eine umfassende biografische Annäherung an diese Kurfürstenpersönlichkeit unternommen. Dies ist schon deshalb hervorhebenswert, weil die frühen Hohenzollern-Kurfürsten des 15. bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kaum Beachtung in Gesamtdarstellungen und biografischen Einzelstudien gefunden haben.

Für die borussische Historiografie markierte der demonstrative Akt Joachims II. von 1539 gemeinhin die „Einführung“ der Reformation in der Mark Brandenburg. Tatsächlich hatten der reformatorische Prozess, das Vordringen des Luthertums Wittenberger Prägung, und die Auseinandersetzung mit der Reformation sowie der damit verbundene kulturelle Wandlungsprozess schon deutlich früher begonnen. Auch wird dieser vielfältige kulturelle Durchwirkungsprozess noch über mehrere Generationen andauern. Gewohnte Riten im Kirchenjahr verschwanden oder wandelten sich zumeist nur langsam; bis heute finden sich Kirchenbauten, an denen allein schon rein äußerlich der Übergangprozess zum Gotteshaus ablesbar ist. Obendrein führte der Übertritt von Kurfürst Johann Sigismund zum reformierten Glauben am Weihnachtstag des Jahres 1613 durch seine Teilnahme am reformierten Ritus zu der spezifisch brandenburgischen Situation des Nebeneinanders des reformierten Minderheitenbekenntnisses des kurfürstlichen Hofes und des lutherischen Mehrheitsbekenntnisses in der Bevölkerung.

Ein Herrscherleben zwischen Renaissance und Reformation schreiben – oder besser: beschreiben

Schon der Untertitel „Kurfürst zwischen Renaissance und Reformation“ umreißt das Programm der Arbeit und strukturiert den Inhalt des Buches in seine Teile, die eng mit der biografischen Schilderung verbunden sind. Diese wird mit analytischen Schwerpunkten verknüpft, ohne dabei dem Versuch zu erliegen, die innere Einstellung des Protagonisten ergründen zu wollen. Der Blick richtet sich auf dessen Performanz im zeitgenössischen Rollenverständnis. So kann die Arbeit der Chronologie folgen und diese zugleich in analytische Themenfelder einordnen: die Kurprinzenzeit, die Reformation, der Renaissance-Fürst und in einem Ausblick Tod und Übergang der Herrschaft auf den Sohn Johann Georg.

Mathis Leibetseder führt uns gleichermaßen durch die analytische Aufbereitung der Verhältnisse von Macht und Religion, Renaissance und Reformation, Tradition und Wandel an den Kurfürsten heran und schält zugleich die personale Herrschaft in ihrer religiösen Eindeutigkeit, in ihrem Herrschaftsstil und im soziokulturellen Umfeld und Wandel heraus.

Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich

Die Arbeit basiert auf dem amtlichen Schriftgut aus der kurbrandenburgischen Überlieferung, das sich stilistisch der so genannten systematischen, analytischen und genetischen Aktenkunde als Historische Hilfswissenschaft gutweit entzieht. Denn wegen fehlender Kanzleiordnungen (die erste Kanzleiordnung datiert unter Johann Georg von 1577) sind die Kanzleigewohnheiten des 16. Jahrhunderts weitgehend unerforscht. 

Allein schon deshalb wird die (archiv-)fachliche Betrachtung zu einer besonderen Herausforderung: Werden nämlich ausgehende Schreiben als “landesherrliche Dekretschreiben des Kurfürsten“ – fein zu unterscheiden von den „Dekretschreiben im Auftrag des Landesherrn“ – deklariert, so weisen diese tatsächlich keineswegs auf den Kurfürsten als Person, sondern vielmehr nur auf eine Person innerhalb des Herrschaftsgeschäfts hin. Sie sind also der Ausdruck des Zusammenspiels mit anderen Akteuren – Räten und Kanzlei – und eben nicht Ausdruck einer Persönlichkeit oder gar einer inneren Haltung. 

Ist obendrein die kurbrandenburgische Chronistik des angehenden 17. Jahrhunderts quellenkritisch als außerordentlich problematisch anzusehen, so kommt noch erschwerend deren philologische Aufbereitung hinzu. Und ebenso präsentieren sich die Quellenzeugnisse durchaus divergierend oder gar widersprüchlich. Insofern gilt es in ganz besonderem Maße, weder in historiografische Mythen noch in Psychogramme zu verfallen, wie es in der borussischen Geschichtsschreibung in geradezu aberwitziger Widersprüchlichkeit allzu oft geschah. 

Fazit

Mehrdeutigkeit, Mehrschichtigkeit und Brüche sind charakteristisch für das Zeitalter der Konfessionalisierung; jeder Versuch von Eindeutigkeit und Einheitlichkeit – das Konstruieren, Dekonstruieren und Rekonstruieren von Narrativen – ist bei der Analyse der Quellen und der Erzählung der Geschichte zum Scheitern verurteilt. Joachim II. erscheint als überlegt und abwägend Handelnder, der alle Finessen und Finten seiner Zeit beherrscht und zu nutzen versteht, wenngleich er dabei auf dem schmalen Grat zwischen Unentschlossenheit, Wankelmütigkeit, Vieldeutigkeit und Uneindeutigkeit sowie Unberechenbarkeit, Unglaubwürdigkeit oder Verstellung agiert.

Paul Marcus

Mathis Leibetseder, Joachim II. von Brandenburg. Kurfürst zwischen Renaissance und Reformation (Veröffentlichungen aus den Archive Preußischer Kulturbesitz, Forschungen and 15), Berlin, Duncker & Humblot 2022
Zahl. Tab. und farbige Abb., VII, 742 S
Print: <978-3-428-18478-1> geb., € 129,90