„Die politischen Agitationen des Professor Dr. Virchow in der Charité betreffend …“

News vom 01.10.2021

Engagierte sich Rudolf Virchow für die Revolution 1848 und die Demokratiebewegung in Preußen? Ein Blick in die Überlieferung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz zeigt den tatsächlichen Grund für den Wechsel des berühmten Arztes und Politikers von der Charité zur Universität Würzburg.

Unter diesem Aktendeckel versteckt sich das Ermittlungsverfahren gegen Rudolf Virchow und die beteiligten Militärärzte der Charité; GStA PK, I. HA Rep. 76, VIII D Nr. 32
Unter diesem Aktendeckel versteckt sich das Ermittlungsverfahren gegen Rudolf Virchow und die beteiligten Militärärzte der Charité; GStA PK, I. HA Rep. 76, VIII D Nr. 32

Der Student und Mediziner Rudolf Virchow

Der am 13. Oktober 1821 in Schivelbein geborene Rudolf Ludwig Carl Virchow ist nicht nur bekannt für seine bahnbrechenden medizinischen Erkenntnisse. Er war außerdem Freund und Förderer des Archäologen Heinrich Schliemann, den er zu Ausgrabungen in Ägypten und Kleinasien begleitete. Vor allem aber lag es ihm am Herzen, sein Wissen über hygienische Maßnahmen in die Praxis umzusetzen. So führte er die Trichinenkontrolle in Preußen ein und war an der Konzeption der Berliner Kanalisation beteiligt. Bekannt ist Virchow darüber hinaus durch seine Gutachten über das Kehlkopfkrebsleiden des späteren Deutschen Kaisers Friedrich III. aus den Jahren 1887 und 1888.

Mit einem vom preußischen Staat gewährten Stipendium versehen studierte Virchow ab 1839 in Berlin Medizin am Medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Institut, auch als Pépinière bekannt. Im Jahr 1843 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert und begann als Pathologe an der Militärärztlichen Akademie zu arbeiten. Nur drei Jahre später erhielt er bereits die Stelle des Prosektors an der Charité und wurde schließlich nach seiner Habilitation 1847 zum Privatdozenten an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin berufen.

Virchows politische Aktionen …

Als im Jahr 1848 in Oberschlesien eine Typhus-Epidemie ausbrach, wurde Virchow von seinem Dienstherrn, dem preußischen Kultusminister, in das Krisengebiet geschickt. Er sollte die Epidemie vor Ort wissenschaftlich erforschen. 

Doch aufgrund der politischen Lage in Berlin brach Virchow am 7. März 1848 von dort wieder auf, um an den „Bewegungen der Hauptstadt theil zu nehmen“ und „angesichts der neuen französischen Republik bei dem Sturz unseres alten Staatsgebäudes zu helfen“. Virchow forderte volle und unumschränkte Demokratie.

In seinem Bericht über die Typhus-Epidemie nennt Virchow zwar auch die medizinischen Ursachen, Symptome und Behandlungsmethoden, doch vor allem spricht er die Lage der armen polnischen Landbevölkerung Oberschlesiens an. Obwohl er gegenüber Polen nicht ohne Vorurteile war, forderte Virchow die Befreiung des polnischen Volks und bemängelte dessen wirtschaftliche Lage. Bemerkenswert ist hier, dass Virchow nach einem ersten handschriftlichen Bericht eine erweiterte Druckschrift mit seinen revolutionären Forderungen und Bekenntnissen an das Kultusministerium schickte. Im Ministerium zog diese Schrift einige behördliche Aktenvermerke nach sich. Virchow wurde als „republikanischer Schwärmer ohne republikanische Tugend“ bezeichnet. Außerdem wurde kritisiert, dass Virchow nicht nur die Reise nach Oberschlesien auf Staatskosten gemacht, sondern auch bei seiner Ausbildung zum Arzt von staatlicher Förderung profitiert hatte. Allerdings zog sein Bericht zunächst keine weiteren Konsequenzen nach sich.

… und deren Folgen

Erst als im Dezember 1848 im Zuge der Neuwahlen zur Preußischen Nationalversammlung 1849 in der Charité Flugblätter des „Central-Comite‘s für volksthümliche Wahlen“ verteilt wurden, hatten Virchows politische Agitationen Folgen. Aus den Akten des Preußischen Kultusministeriums lassen sich die Ereignisse exakt rekonstruieren.

Es stellte sich heraus, dass Virchow an der Verteilung der politischen Schriften mitgewirkt hatte. Hierfür erntete der Arzt große Missbilligung. Einerseits, weil das Verteilen aufregender – sprich demokratischer – Schriften an die Patienten als schädlich für deren Genesung angesehen wurde. Andererseits, weil er seine Schüler ebenfalls zum Verteilen demokratischer Flugschriften animierte und ihnen Ansichten vermittelte, die für Militärärzte als unpassend galten.

Um derartige Konflikte in Zukunft zu vermeiden und sicherlich auch, um den politischen Umbrüchen der Zeit entgegenzuwirken, wurde daraufhin seitens des Ministeriums erwogen, Ärzte, die ihre Stellung für politische Agitation missbrauchten, aus dem Dienst zu entfernen.

Auch Rudolf Virchow wurde gekündigt. Er legte jedoch mehrfach Beschwerde ein und betonte, dass er sich ausschließlich innerhalb der legalen Opposition bewege und als Privatmann gehandelt habe. Er begründete seine Handlungen auch damit, dass er in den Krankenzimmern der Charité andere politische Schriften gefunden hatte. So übergab er der Behörde beispielsweise ein Flugblatt von Friedrich Harkort, dem als „Vater des Ruhrgebiets“ bekannten Demokraten.

Aufgrund von Virchows Tüchtigkeit und weil dieser schwer zu ersetzen sei, wurde die Kündigung schließlich unter der Bedingung zurückgenommen, dass Virchow seine „politische Ueberzeugung welcher Art sie auch sein möge“ nicht im Dienst äußere. Er wurde ermahnt, fortan keine politischen Aktivitäten mehr aufzunehmen und musste zudem auf seine Dienstwohnung und die ihm bislang zustehende freie Verköstigung verzichten.

Virchows Rückkehr an die Charité

Kurz darauf nahm Rudolf Virchow den Ruf der Universität Würzburg an und übernahm dort den Lehrstuhl für Pathologie. Bereits 1856 kehrte er jedoch nach Berlin zurück, erhielt wieder seine alte Stellung als Prosektor der Charité und übernahm die Professur für Pathologie. Hierauf folgte eine erfolgreiche Karriere an der Charité und der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. So wurde er Rektor der Universität und begründete mit seiner wissenschaftlichen Sammlung das heutige Berliner Medizinhistorische Museum. Aber nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als liberaler Politiker blieb Virchow zeitlebens aktiv. Er starb am 5. September 1902 an den Folgen eines Unfalls.

In zahlreichen Archivbeständen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz sind Unterlagen von und über Virchow aufbewahrt, die Auskunft über das Leben des einflussreichen Mediziners, weitgereisten Wissenschaftlers und sozialpolitischen Kritikers geben.

Yasemin Diedenhofen, Moritz Hülk und Felix Meyer