Der Papst lässt niemanden aus Rom mehr an sich heran

News vom 23.04.2020

Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz lässt sich erfahren, wie der Generalprokurator des Deutschen Ordens Jodocus Hogenstein die Pestwellen an der päpstlichen Kurie erlebte

Brief des Generalprokurators des Deutschen Ordens Jodocus Hogenstein an den Hochmeister des Deutschen Ordens. Rieti, 1450 Juli 3
© Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Zu den Bildern, die vom Osterfest 2020 im Zeichen der weltweiten Corona-Epidemie in Erinnerung bleiben werden, gehört die nahezu menschenleere Peterskirche in Rom, in der Papst Franziskus die Ostermesse feierte. Bei der Live-Übertragung der Zeremonien war auch das wundertätige Kruzifix zu sehen, das im Jahr 1522 während der Pest in Prozessionen durch die Stadt Rom getragen wurde. Der Sage nach soll die Seuche, als das Kreuz nach 16 Tagen Sankt Peter erreichte, abgeebbt sein. Papst Franziskus war am 15. März in die römische Kirche San Marcello al Corso gepilgert, in der das Pestkreuz seit dem frühen 19. Jahrhundert hängt, um ein Ende der globalen Corona-Pandemie zu erflehen, und am 27. März ließ er das wundertätige Kruzifix in den Vatikan bringen.

Die aktuellen Bilder regen nicht nur zu einem historischen Vergleich an zwischen der Ausbreitung des Corona-Virus in einer globalisierten Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts und der Ausbreitung der Pest im späten Mittelalter und der beginnenden Neuzeit, einer Zeit, in der sich die meisten Menschen in Europa wohl nie weiter, als man mit einem Pferd an einem Tag reiten konnte, von Zuhause entfernten. Es stellt sich vielmehr auch die Frage, was wir über das persönliche Schicksal einzelner Menschen in Zeiten der Pest wissen. Eine besonders aufschlussreiche Quelle stellen in diesem Zusammenhang die Briefe dar, die der Generalprokurator des Deutschen Ordens an der päpstlichen Kurie Jodocus Hogenstein in den Pestjahren 1449 bis 1451 und 1456 aus Rom an den Hochmeister des Deutschen Ordens und seinen Kanzler auf der Marienburg im Preußenland sandte.

So berichtet Hogenstein dem Hochmeister am 29. August 1449 aus Rom, dass der Papst mit einem kleinen Gefolge vor der Pest aus der Stadt geflohen sei und in dem Kastell Fabriano, in dem er sich gegenwärtig aufhalte, sonst niemanden in seine Nähe ließe. Er selbst habe drei Tage lang in der Ungewissheit geschwebt, ob er sich angesteckt habe oder nicht. Allgemein bestehe eine große Angst vor der Seuche, was er in folgenden Worten zum Ausdruck bringt: „itczlicher furcht sich vor den andern unde nymands is sicher.“ Noch bedrohlicher schildert der Generalprokurator dem Hochmeister seine Lage in zwei Briefen, die er im Juli 1450 aus Rieti schrieb. Drei seiner eigenen Diener seien an der Pest gestorben und er selbst habe drei Wochen im Bett niedergelegen und „dye haut kaume darvongebracht“. Der Papst ließ ihm sagen, er solle nicht mehr in die Heilige Messe kommen und aus Rom flüchten, woraufhin er in das Kastell Rieti gezogen sei. Es gäbe niemanden, der in Rom bleiben und in seinem Haus aufwarten wolle, klagt Hogenstein. Auch könne er die Aufträge des Hochmeisters wegen der Kirche zu Reval nicht erledigen, weil sich der Papst wie im vergangenen Jahr in das Kastell Fabriano zurückgezogen habe und dort niemanden aus Rom – mit Ausnahme der Kardinäle - näher als sieben Meilen an sich herankommen lasse.

Im Juli 1456 berichtet Hogenstein dem Kanzler des Hochmeisters, an den er im Unterschied zum Hochmeister auf Latein schrieb, über einen erneuten Ausbruch der Pest in Rom. Schon fast alle Kardinäle seien aus Rom geflohen, aber er könne sich die Flucht aufgrund seiner prekären wirtschaftlichen Lage einfach nicht leisten und bleibe daher in Gottes Händen an der Kurie der Pest ausgesetzt: „itaque in manibus dei curie pestilenti adherebo“. Noch im selben Jahr unterbreitete Hogenstein dem Kanzler des Hochmeisters seine Vorstellungen über eine finanzielle Sanierung des Generalprokuratorenamtes und schlug dabei sogar einen Rückzug des Generalprokurators in die Deutschordens-Ballei an der Etsch vor – nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen und aus Angst vor den in Rom häufig wiederkehrenden Pestwellen.

Mit Jodocus Hogensteins eindrucksvollen Schilderungen von der Pest in Rom geraten unwillkürlich die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrten Berichte des Generalprokurators des Deutschen Ordens an der päpstlichen Kurie aus dem Historischen Staatsarchiv Königsberg in den Blickpunkt – eine historische Quelle, die unter den deutschen Staatsarchiven einzigartig ist. Bisher sind lediglich die Berichte aus den Anfangsjahren des Amtes um 1220 bis zum Jahr 1436 gedruckt. Die Lektüre der noch unveröffentlichten Berichte aus den folgenden Jahren, darunter auch Jodocus Hogensteins zahlreiche Briefe aus seiner langen Amtszeit von 1448 bis 1468, mit ihren prägnanten Äußerungen und im gepflegten Briefstil der Humanisten verfasst, wird wieder möglich sein, sobald die durch die Corona-Krise bedingte Schließung des Forschungssaals im Geheimen Staatsarchiv aufgehoben ist.

Text: Ingrid Männl