human remains in den preußischen Sammlungen

News vom 26.01.2024

Im November 2023 reiste der Bundespräsident nach Ostafrika. „Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft“, sagte Steinmeier und bat die Hinterbliebenen von Opfern des Maji-Maji-Kriegs um Verzeihung.

GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V A, Nr. 5 Bd. 3 und III. HA MdA, III Nr. 14380
GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V A, Nr. 5 Bd. 3 und III. HA MdA, III Nr. 14380

Der Bundespräsident erinnerte in seiner Rede an die deutsche Kolonialherrschaft. Aber nicht erst im späten 19. Jahrhundert mit den Aktivitäten von Handelsgesellschaften wie der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, sondern bereits seit Jahrhunderten war es zu Austausch zwischen den Kontinenten gekommen.

Entdeckergeist und Forscherdrang trieben die Menschen in ferne Länder und zu fremden Kulturen. Aus Ozeanien, Afrika und Amerika sind unzählige Mitbringsel nach Europa und hier in Sammlungen von Museen und Privatleuten gelangt. Der spätere preußische Konsul in Hamburg, William O’Swald, führte im Auftrag der Preußischen Seehandlung weltweite Handelsexpeditionen durch. 1828 brachte er von einer Reise einen Federmantel mit, den der Herrscher von Hawai‘i dem König von Preußen zum Geschenk machte. Der für Kamehameha III unschätzbar wertvolle Mantel wurde in der Kunstkammer öffentlich ausgestellt und ist heute im Humboldtforum zu bewundern (Hermann Parzinger, Seehandlung, Kunstkammer, Museum, Humboldtforum. Von der Vielschichtigkeit eines Federmantels und seines Weges, in: Monika Wienford (Hrsg.), Die preußische Seehandlung zwischen Markt, Staat und Kultur. 40 Jahre Stiftung Preußische Seehandlung, Potsdam 2023, S. 103-127).

Nicht nur wertvolle Kunstobjekte, sondern auch lebendige Tiere und sogar Menschen aus fernen Ländern wurden nach Preußen gebracht. So stellte ein Menageriebesitzer einen Mann aus dem Stamm der Aschanti auf Jahrmärkten öffentlich zur Schau. Der etwa 40jährige soll aus purer Reiselust mit einem niederländischen Kaufmann nach Europa gelangt sein und mit dem Schausteller einen Vertrag über das Jahrmarktgeschäft geschlossen haben. Er starb am 5. April 1843 und wurde unter dem Namen Thomas Roos in Iserlohn beerdigt (III. HA MdA, III Nr. 14380).

Andere Menschen vom afrikanischen Kontinent erhielten indes kein Grab oder wurden sogar aus ihrer letzten Ruhestätte gerissen. In den kulturhistorischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin befinden sich einzelne Knochen, Haare und sogar vollständige Skelette. Seit mehr als zehn Jahren bemühen sich die Mitarbeitenden um einen angemessenen wissenschaftlichen und ethischen Umgang mit den human remains und insbesondere um die lückenlose Aufklärung der Herkunft. Ziel der Provenienzforschung in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) ist die Rückführung der Gebeine, auch um begangenes Unrecht wiedergutzumachen. 

Zur Bestimmung der Herkunftsregionen können naturwissenschaftlich-medizinische Untersuchungen wie die Zahn-, Gen- und die Isotopanalyse dienen. Generell wird bei der SPK jedoch ohne Zustimmung aus den Herkunftsregionen keine invasive Forschung an menschlichen Überresten vorgenommen. Bei der Forschung nach der Herkunft von human remains kann aber auch die archivalische Überlieferung helfen. Aus Korrespondenzen von Entdeckungsreisenden, Forschern und Wissenschaftlern sowie aus den Berichten an Behörden lassen sich darüber hinaus auch Erkenntnisse über die Interessen und Praktiken zur musealen Sammlung im 19. Jahrhundert ermitteln.

Im Jahr 1886 bereicherte der Afrikaforscher Georg August Schweinfurth (1836–1925), der von seinen Zeitgenossen als einer der „rastlostesten, opferwilligsten Priester der Wissenschaft“ verehrt wurde (Franz Wallner, Ein neuer Afrika-Wanderer, in: Neue Freie Presse, Wien 16.11.1871, Nr. 2597, S. 4), die Sammlungen des Botanischen Museums und Anatomisch-zootomischen Museums am Thierarzneischulpark in Berlin. Der Direktor dieses Museums verwies in seinem Schreiben an den Kultusminister auf die wertvollen Präparate von Pflanzenresten aus ägyptischen Gräbern, die nicht käuflich erworben werden könnten. Ebenso teilte Professor Wilhelm von Waldeyer-Hartz (1836–1921), der Leiter des Anatomischen Instituts, mit, dass er nicht nur Skelette von Säugetieren, Vögeln und Reptilien aus Zentralafrika erhalten habe, sondern auch mehr als einhundert der „werthvollsten und seltensten“ Schädel von Menschen. Der Anatom schreibt, es handele sich um Angehörige von Stämmen der „Monbuttu, Bissanga, Mormon, Bongo, Schilluck, Denka“ und weiterer Ethnien (GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V A, Nr. 5 Bd. 3).

Die „Effekten“, die Schweinfurth von seinen Expeditionen mit nach Europa brachte, waren für die damalige medizinisch-anatomische Wissenschaft von großem Interesse. Der Kultusminister hatte nicht nur Schweinfurths große Expeditionen zwischen 1863 und 1866 sowie 1868 und 1871 und die seit 1877 fast jährlich stattfindenden kleineren Reisen finanziell unterstützt, sondern sollte nun auch veranlasst werden, für Schweinfurths Sammlungen für die Wissenschaftler zu kaufen.

Professor Waldeyer-Hartz publizierte zahlreiche Studien zu anthropologischen Themen, die vom Erkenntnisziel seiner Zeit geprägt sind. Der Anatom stützte seine Forschungen unter anderem auf rund 830 menschliche Schädel, von denen nach Erkenntnissen von Dr. Andreas Winkelmann, der 2010 bis 2013 als Mitarbeiter am von der DFG geförderten "Charité Human Remains Project" tätig war, 128 nach 1883 aus Afrika nach Berlin gelangt sind.

Die Sammlungskataloge des für das interessierte Publikum öffentlich zugänglichen Anatomisch-zootomischen Museums sind laut Winkelmann zum großen Teil seit dem Zweiten Weltkrieg verloren. Sie sind wahrscheinlich bei einem Bombentreffer zerstört worden. Winkelmann betont in seinen Forschungen, dass die umfassende Dokumentation der Anatomischen Sammlung daher höchst komplex sei. Die Auswertung der Überlieferung im Geheimen Staatsarchiv PK, das die Akten der preußischen Ministerien und nachgeordneter Behörden, Gesandtschaften und Konsulate ebenso wie Nachlässe von Beamten, Ärzten und Forschern bewahrt, könnte zur Provenienzforschung beitragen.

Pauline Puppel