Ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk

News vom 17.12.2020

Historischer Brief
Alexander von Humboldt an Friedrich Wilhelm III. von Preußen, 26.12.1805 GStA PK, I. HA Rep. 96 A, Nr. 1B, Bl. 67r (Ausschnitt) © GStA PK

Friedrich Wilhelm III. von Preußen hatte Alexander von Humboldt gleich nach der Rückkehr von seiner aufsehenerregenden Forschungsreise aus Amerika nach Europa im September 1804 zum königlichen Kammerherrn ernannt. Als der Naturwissenschaftler dann nach einem 20jährigen Forschungsaufenthalt in Paris, während dessen er zu großer Berühmtheit gelangt war, im Mai 1827 wieder in seiner Vaterstadt Berlin ansässig wurde, sah ihn der König nahezu täglich. Humboldt war häufig zu Gast bei der königlichen Abendtafel, er begleitete den König regelmäßig auf seiner jährlichen Bäderreise nach Teplitz in Nordböhmen und wurde sogar am Heiligen Abend vom König eingeladen.

Wie der Heilige Abend im Jahr 1833 am königlichen Hof verlief, darüber hat ein Adjutant des Prinzen Karl, des jüngsten Bruders Friedrich Wilhelms III. von Preußen, folgende Aufzeichnungen in seinem Tagebuch hinterlassen:

“Den 24ten Weihnachts-Abend, waren alle Höfe bei S.M. ins Prinzessinnen Palais eingeladen, um dort die gegenseitigen Geschenke in Empfang zu nehmen. Für jeden der Prinzen und Prinzessinnen  war ein Tisch mit einem Weihnachtsbaum und den Geschenken aufgepuzt, die an Reichtum und Geschmack wetteiferten. Auch für den König liegen auf einem besonderen Tische Geschenke bereit. … Für uns Andere wurde wieder eine Lotterie eingerichtet, wobei zum Scherz die geringfügigsten sonderbarsten Gegenstände verloost wurden. Ich gewann einen Fußschemel von Tapißerie Arbeit. … Nach den Bescherungen wurde soupiert, wobei ich neben Alex. Humboldt saß und dann wurde die Gesellschaft aufgelöst.“

Welches Geschenk Humboldt bei der Lotterie erlost hatte, das verschweigt der Adjutant leider. - Es war jedoch nicht nur der König, der seinen Kammerherrn an Weihnachten beschenkte. Etliche Jahre zuvor hatte Alexander von Humboldt Friedrich Wilhelm III. von Preußen an Weihnachten seinerseits mit einem ganz besonderen Geschenk bedacht. Am Zweiten Weihnachtstag des Jahres 1805, nur wenige Wochen, nachdem er von seiner Amerika-Reise und einem anschließenden Rom-Aufenthalt bei seinem an der päpstlichen Kurie als Gesandter tätigen Bruder Wilhelm wieder in Berlin eingetroffen war, schrieb Alexander von Humboldt an Friedrich Wilhelm III. von Preußen diesen Brief:

Alexander von Humboldt an Friedrich Wilhelm III. von Preußen, 26.12.1805 GStA PK, I. HA Rep. 96 A, Nr. 1B, Bl. 67r – 68r © GStA PK

Alexander von Humboldt an Friedrich Wilhelm III. von Preußen, 26.12.1805 GStA PK, I. HA Rep. 96 A, Nr. 1B, Bl. 67r – 68r © GStA PK

 

„Aller Durchlauchtigster, Großmächtigster, Aller Gnädigster König und Herr, Ew. Königlichen Majestät wage ich anliegende Reste der Hieroglyphen-Schrift Mexikanischer Urvölker allerunterthänigst zu Füßen zu legen. Der Codex, welcher am unverständlichsten ist und welchen gebildete Indianer für einen Kalender hielten, ist 14 Fuß lang. Die übrigen Fragmente stellen Stammtafeln der Könige, Tributen-Rollen und Kriegsbegebenheiten vor. In Europa giebt es nur vier ähnliche Hieroglyphen-Gemälde, drei in Italien und eines (bisher) in Wien.
Ein glüklicher Zufall hat gewollt, daß ich diese Monumente alter Kultur der Menschheit während meines Aufenthalts im Königreich Neu Spanien käuflich an mich bringen konnte. Ein Theil derselben ist aus der Nachlassenschaft eines Mexikanischen Gelehrten, Gama, der eine gelehrte Abhandlung über die Alterthümer seiner Vaterstadt geschrieben hat.
Ich würde mich glüklich schäzen, wenn Ew. Königliche Majestät diese Reste des Alterthums werth hielten, Ihre Bibliothek zu Berlin zu zieren und wenn Allerhöchst Dieselben diese Kleinigkeit als ein schwaches Zeichen meiner ehrfurchtsvollen Dankbarkeit huldreichst aufzunehmen geruhten. Um das leicht zerstöhrbare mexikanische Pflanzenpapier vor dem Untergange zu retten, habe ich die Fragmente einzeln aufgeklebt und in die bequeme Bücherform heften lassen.
Ich ersterbe in tiefster Ehrfurcht, Ew. Königlichen Majestät, allerunterthänigst gehorsamster Alexander von Humboldt
Berlin, den 26. Dezember 1805“

Die mexikanischen Hieroglyphen-Schriften, die Alexander von Humboldt auf seiner Amerika-Reise erworben hatte, wurden dann tatsächlich in die Königliche Bibliothek übernommen. Wie sehr man sich über dieses außergewöhnliche Geschenk freute, geht aus dem Vermerk auf der ersten Seite des Briefes unter der Anrede des Königs hervor: „Dem Referenten - gemeint ist der Schreiber des Briefs, also Alexander von Humboldt“ - ist für diese neue höchstinteressante Bereicherung der Königlichen Bibliothèque verbindlichst zu danken.“

Die mexikanischen Bilderhandschriften sind heute in der Staatsbibliothek zu Berlin als Humboldt Codices registriert. Der bekannteste von ihnen, „Codex Humboldt Fragment 1“, stellt ein Tributverzeichnis aus dem 16. Jahrhundert dar. Es enthält nähere Angaben über Steuern, die aus der Tlapa-Region in Guerrero an die aztekischen Eroberer zu entrichten waren. Alexander von Humboldt hat in seinem 1810 bis 1813 erschienenen Werk „Vues des Cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique“ einen Ausschnitt davon abgebildet.

Alexander von Humboldt, Vues des Cordillères …, Tafel XXXVI © GStA PK

und eine Erläuterung dazu gegeben:

„Nr. I ist Teil eines drei oder vier Meter langen Codex Mexicanus auf Agavenpapier. Man meint darauf Mais, Gold in Barren und weitere Erzeugnisse zu erkennen, aus denen sich der Tribut, tequitl, zusammensetzte. Was der Maler mit jener Vielzahl von symmetrisch angeordneten kleinen Quadraten bezeichnen wollte, ist mir völlig unbekannt. In der zweiten Spalte, von rechts nach links gezählt, findet man vier Hieroglyphen, die in einer periodischen Reihe wiederholt werden. Die hier und da eingezeichneten Tage geben an, wann der Tribut gezahlt werden mußte.“

1940 wurde in Guerrero das Gegenstück zu diesem Codex wiederentdeckt, „Codex Azoyú 2 Reverso“. Die beiden Bilderhandschriften inspirierten die mexikanische Künstlerin Mariana Castillo Deball zu einer großflächigen Installation, die im Ostflügel des Humboldt-Forums gezeigt werden wird.

Das Kunstwerk besteht aus 320 gebrannten Tonplatten, deren Reliefs die Inhalte der beiden mexikanischen Hieroglyphen-Schriften aufnehmen.

Text: Ingrid Männl