Ein ruheloser Reisender

Ein ruheloser Reisender

Heinrich von Kleist (1777 bis 1811) war ein ruhelos Reisender in einer unruhigen Zeit.

von Anke Klare

Heinrich von Kleist (1777 bis 1811) war ein ruhelos Reisender in einer unruhigen Zeit. Die Koalitionskriege gegen Frankreich prägten die Jahre an der Epochenschwelle um 1800. Die Niederlage Preußens in der Schlacht von Jena und Auerstedt (1806) und der Frieden von Tilsit (1807) hatten grundlegende Modernisierungen des Staates und der Verwaltung zur Folge, die so genannten Stein-Hardenbergschen Reformen. Die altständische Gesellschaft mit ihrem auch für den adligen Offizierssohn Heinrich von Kleist vorgesehenen aristokratischen Standesmodell war zunehmend brüchig geworden. Kleist war sich, wie viele seiner Zeitgenossen, der Krisenhaftigkeit seiner Zeit bewusst.

Seit dem erbetenen Abschied vom Militär 1799 versuchte er einen immer wieder neu entworfenen „Lebensplan“ zu verwirklichen. Im Sommer 1800 brach er zu einer ersten größeren Reise aus seiner Geburtsstadt Frankfurt an der Oder auf – und verbrachte seitdem sein Leben ohne festen Mittelpunkt an ständig wechselnden Orten, in Preußen, den deutschen Ländern und im Ausland. Auf seinen Reisen durch Europa, in der Schweiz, in Königsberg, in Frankreich, Dresden und Berlin entstand in weniger als zehn Jahren ein umfangreiches Werk: acht Dramen, acht Erzählungen, 29 Gedichte, Aufsätze, kleinere Schriften, Anekdoten, zahlreiche journalistische und redaktionelle Beiträge inklusive der Herausgabe eines Kunstjournals und einer Tageszeitung.

Die äußeren Umstände seines rastlosen Lebens, die relativ geringe Bekanntheit seines Werkes und seiner Person zu Lebzeiten und Verluste der Dokumentenüberlieferung durch die Weltkriege des 20. Jahrhunderts begründen die unzulängliche Quellenlage zur Biografie Heinrichs von Kleists. Insbesondere die Kindheits- und Jugendjahre, der Zeitraum zwischen Dezember 1803 und Juni 1804 sowie die Wintermonate von 1809 auf 1810 bilden Leerstellen.

Heinrich von Kleists schriftlicher Nachlass ist verschwindend gering: zwei – unvollständige – Dramenmanuskripte und 19 Gedichtabschriften/Tagebucheinträge sind erhalten. Nicht nur die Handschriften seines dramatischen, erzählerischen und publizistischen Werks, auch der weitaus überwiegende Teil der Korrespondenzen des Dichters gelten als verloren. 235 Briefe sind im Wortlaut bekannt. Nur 173 Kleist-Briefe sind im Original erhalten – und weltweit verstreut.

Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz bewahrt (neben der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz) mit insgesamt zwölf Schreiben die umfangreichste Überlieferung eigenhändiger Kleist-Briefe im deutschsprachigen Raum. Dazu kommen wichtige ergänzende Dokumente zu seinem Leben und Werk.

Die Sammlung von jetzt zehn Kleist-Handschriften im Kleist-Museum ist das Ergebnis systematischer Erwerbungsbemühungen, insbesondere seit 1990. Erst im Frühjahr 2018 konnte das Museum mit Unterstützung von Bundes- und Landesinstitutionen sowie durch private Spenden einen verschollen geglaubten Briefschluss an Ulrike von Kleist aus dem Jahr 1803 ankaufen. Im Juni 2019 erwarb das Haus eine ebenfalls für verloren gehaltene Kleist-Handschrift von einer privaten Autografenbesitzerin als Dauerleihgabe.

Das Auftauchen zweier verlorener Kleist-Handschriften, die für die Öffentlichkeit zurückgewonnen werden konnten, die Seltenheit von Kleist-Autografen insgesamt und die Tatsache, dass die Bestände beider Häuser eine lockere Nacherzählung des Lebens des Dichters an Hand von Briefen und Dokumenten erlauben, sind Anlässe für die Faksimile-Ausstellung, die 2019/2020 im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz präsentiert wird. Alle Kleist-Handschriften und eine Reihe korrespondierender Dokumente aus dem Besitz beider Institutionen werden erstmals in dieser Schau zusammengeführt, die zugleich einen Überblick über die Aufbewahrungsorte des Brief-Erbes Heinrich von Kleists gibt.

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